Fenster zur Hecke
An der Leine spannen sich die Wäschesegel auf. Unter ihnen wachsen die Kartoffeln. Gewachsen ist auch das Haus meiner Großeltern über die Jahre. Die Kindheit meiner Mutter hat an diesen Bäumen geschaukelt, hat sich in diesen Schränken ver- steckt, sich an diesem Kaffeetisch gelangweilt. Irgendwann kam die Schnellstraße und mit ihr auch ich. Noch eine Kindheit, noch einmal schaukeln, sich verstecken, sich langweilen.
Laken und Tischdecken wehen stumm weiter. Blaue Stunde in Ostfriesland. Zeit für Oma, die Wäsche abzuhängen. Lange habe ich Besuche hier vermieden, vor allem wegen der zähen Stunden zwischen Spitzendeckchen. Vor Kurzem aber hat Oma einen Pflegegrad bekommen. Und das machte mir bewusst: Die zähe Zeit am Kaffeetisch wird enden, eines Tages. Alles wird blau – blaue Stunde im Leben zweier Menschen.
Deswegen komme ich jetzt regelmäßig und unterstütze die bei- den dabei, zuhause alt zu werden, alt sein zu dürfen. Von mei- nem Zimmer aus kann ich Oma beim Abhängen der Wäsche zusehen. Ein sanfter Blick durch Gardinen, funkelnde Schweb- teilchen über den Zierpflanzen. Momente von Liebe, Enge und
Überforderung. Die Wäsche ist abgehängt. Oma bringt den Korb ins Haus. Auf der Schnellstraße jault ein Motor auf, dann wieder Stille.